Im Rahmen des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms Digital Europe wurden vier Large Scale Pilots initiiert: European Wallet Consortium (EWC), DC4EU, Potential und Nobid. Ihr Ziel ist es, das EU DigitalWallet (EUDIW) sowie die übrigen Komponenten im eIDAS 2.0 Ökosystem zu testen und in europaweiten Anwendungsfällen zu pilotieren. Das IDunion Kommunikationsteam hat dazu mit Steffen Schwalm, Principal Consultant | Senior Manager Digital Identity & Trust, msg, ein Interview geführt.
Was ist die Rolle der „Large Scale Pilots“?
Man kann deren Rolle recht gut anhand einer Dreiecksstruktur darstellen: auf einer Seite des Dreiecks befindet sich die EU-Kommission, die für die Regulierung zuständig ist, sowie die eIDAS toolbox, mit deren Hilfe die EU-Mitgliedsstaaten die technischen Rahmenbedingungen für das EU Digital Wallet setzen.
Darunter haben wir die Referenzimplementierung für das europäische Wallet, und schließlich haben wir am anderen Ende des Dreiecks die Large Scale Pilots (LSPs).
Dahinter steht die Idee, nicht nur Regulierungen und Standards zu beschließen, bei denen sich erst in der Umsetzungsphase herausstellt, was nicht funktioniert, sondern Vorschriften und technische Spezifikationen quasi sofort mit der praktischen Umsetzung zu verbinden.
Genau das ist die eigentliche Aufgabe und der Vorteil der LSPs: sowohl alle regulatorischen Prozesse direkt mit konkreten praktischen Ergebnissen zu beeinflussen, als auch alle technischen Spezifikationen in praktischen Anwendungen zu testen und festzustellen, was funktioniert und was nicht. Dies, um in enger Zusammenarbeit mit EU Kommission, eIDAS toolbox und Referenzimplementierung valide regulatorische und technische Grundlagen zu schaffen.
So ist beispielsweise das Ausstellen von Personenidentifikation im EU Architecture and Reference Framework ARF nicht klar beschrieben. Wenn es dazu in vier LSPs fünf verschiedene Meinungen gibt, ist das ein klarer Hinweis darauf, dies genauer zu spezifizieren.
Damit haben wir auf der einen Seite eine Referenzimplementierung, die Spezifikationen aufnimmt und probiert, was machbar ist, und auf der anderen Seite die LSPs, die wiederum die Referenz-Implementierung untersucht, um zu prüfen, was in den Anwendungsfällen praktisch funktioniert oder angepasst werden muss.
Man setzt also nicht nur die Regulierung und ein paar technische Standards, sondern probiert alles rechtzeitig aus, schafft Praxisnähe und kann dadurch den einen oder anderen Fehler, den man bei eIDAS 1.0 gemacht hat, vermeiden.
Sind alle LSPs ähnlich aufgebaut bzw. haben sie die gleiche Struktur?
Ja, es gibt für alle die Grundregel, dass ein LSP immer formal von einem oder mehreren EU-Mitgliedsstaaten geleitet wird. Dem sind die Unternehmen angeschlossen.
Für EWC sind das Schweden und Finnland, für DC4EU Spanien, für Potential Frankreich und Deutschland und für Nobid Norwegen und die baltischen Staaten. Die Laufzeit aller LSPs beträgt zwei Jahre – Start war am 1. April 2023.
Welche der vier LSPs haben die meisten Chancen?
Alle vier LSPs haben unterschiedliche Schwerpunkte, deshalb sind sie nicht direkt miteinander vergleichbar. Zudem möchte ich keine Bewertung vornehmen, da unser Unternehmen msg am EWC beteiligt ist. Potential ist jedenfalls sehr stark auf Non-DLT fokussiert und befasst sich mit einer großen Bandbreite von Anwendungsfällen, von der Bankkontoeröffnung übers e-Rezept bis hin zum e-Government. DC4EU konzentrieren sich auf Diploma und Social Security Pass. Nobid ist rein auf Non-DLT und Payment fokussiert. EWC befasst sich mit der Organisations-ID, Zahlungsverkehr und Anwendungsfällen im Bereich Travel und verfolgt dabei einen dualen Ansatz, also Non-DLT und DLT.
So gesehen ist kein Konsortium wichtiger als das andere, sondern sie brauchen einander.
Das bringt uns zu der Frage, inwieweit die Kommission neben EBSI Raum sieht für andere DLT-basierte Lösungen wie Hyperledger-Indy oder Aries.
Das ist angesichts der aktuellen Konstellation eine gute Frage, denn das ARF ist ja eigentlich technologie-agnostisch. Andererseits fördert die EU explizit ein EBSI-Projekt, um Lösungen für die Digitale Wallet auf Basis der European Blockchain Service Infrastructure herzustellen. Da jedes Konsortium Interoperabilität zu den anderen Konsortien herstellen muss, um die von der EU-Kommission beabsichtigte Zusammenarbeit der Konsortien zu ermöglichen – müssen alle definitiv die Interoperabilität zwischen DLT und Legacy (Non-DLT) herstellen. Im Fokus von DLT steht dabei sicher EBSI, aufgrund bestehender Förderungen und Interessen der EU.
Was ist die Motivation der Vielzahl von Unternehmen, die innerhalb der vier LSPs engagiert sind, denn angesichts der großen Anzahl ist die Fördersumme für jede einzelne Organisation eher gering.
Wer jetzt bei den LSPs beteiligt ist, und sei es nur als assoziierter Partner, der ist unmittelbar beteiligt an der Entwicklung der europäischen digitalen Identität für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre. Und wenn die eIDAS 2.0 so bleibt, wie sie derzeit geplant ist, macht es sowohl für die Technologieanbieter als auch für die Relying Parties großen Sinn, sich daran zu beteiligen. Denn schließlich müssen alle KRITIS-Unternehmen diese Lösung übernehmen, sowie de facto der ganze Bankensektor und Gesundheitswesen, ebenso die GAFA. Also ein großer Teil der Industrie. Die an den LSPs beteiligten Unternehmen können die Technologie von Anfang an mitgestalten und in die richtige Richtung lenken und daraus eigene Geschäftsmodelle entwickeln.
In welcher Form ist IDunion im EWC-Konsortium vertreten?
IDunion ist indirekt durch die Beteiligung vieler Konsortialpartner und assoziierter Partner im EWC dabei.
Vielen Dank für das Interview, Steffen.
Sehr gerne!
Das Interview wurde geführt von Benjamin Burde und Kordula Kiefer-Kempf von esatus AG